Baulückenschließung in Berlin-Friedrichshain

Eine Baulücke in unmittelbarer Nähe zum Berliner S-Bahn-Ring wirkt zunächst wie eine Herausforderung und stellt sich dann als Impulsgeber für eine facettenreiche Entwurfsidee heraus. Dieses Beispiel für Geschosswohnungsbau zeigt, dass innerstädtische Verdichtung die Schaffung von lebenswertem Wohn- und Freiraum nicht ausschließt.

Städtebauliche Verortung

Das Samariterviertel im Berliner Stadtteil Friedrichshain ist ein dicht besiedeltes Gründerzeitquartier mit überwiegender Wohnbebauung. Das Grundstück des Mehrfamilienhauses mit Innenhof "PolygonGarden” liegt in der Pettenkoferstraße und in unmittelbarer Nähe zur Straßenflucht der Promenade Bänschstraße, die gemeinsam mit ausgewählten Jugend-stilhäusern einen Denkmalbereich bildet. Weitere Einzelgebäude im Quartier sowie die Ende des 19. Jahrhunderts erbaute Samariterkirche stehen unter Denkmalschutz. 

Im Zuge einer städtebaulichen Sanierung des Gebiets wurde bis 2008 ein großer Teil des Altbaubestands unter Wahrung der historischen Bausubstanz modernisiert. Dazu kamen Neubauten und Dachgeschossausbauten, Maßnahmen zur Beseitigung von Leerstand, die Entsiegelung und Begrünung öffentlicher und privater Flächen sowie die bedarfsgerechte Sanierung von Schulen, Kitas und Kultureinrichtungen. Mittlerweile bietet sich ein familienfreundliches Wohnumfeld, dessen Straßenzüge durch Grünanlagen und kleinere Gewerbeeinheiten aus dem Dienstleistungs-, Handels- und Gastronomiesektor belebt werden. In diesen Kontext reiht sich der 2015 fertiggestellte Neubau, der eine Lücke zwischen einem Mietshaus aus der Jahrhundertwende und einem mehrgeschossigen Wohngebäude jüngeren Datums schließt. Vier Baukörper bilden ein Karree rund um einen großzügigen Innenhof. Er dient den Bewohnern als begrünte Frei- und Spielfläche, als Fahrradparkplatz und als Erschließungsweg zwischen den einzelnen Eingängen.

Die zur Straße und somit zum öffentlichen Raum gerichtete Fassade betont ein heterogenes Stadtbild zwischen klassisch und modern, während mit den zum Innenhof gerichteten Fassaden der Spagat zwischen Offenheit und Privatheit gelöst wird. Neben insgesamt 132 Wohnungen befinden sich im straßenzugewandten Erdgeschoss acht Gewerbeeinheiten. Hinter dem Gartenhaus grenzt das Baugrundstück an die Gleisanlagen der Berliner Ringbahn. Eine geschlossene  Wandfläche und ein Erschließungsflur schirmen die nach Osten gerichteten Wohneinheiten vom Bahnverkehr ab.

Städte im Wandel: Berlin, Foto: Boris Storz
Vollverglaste Erker sorgen für maximalen Lichteinfall an der Straßenseite des Vorderhauses. Foto: Boris Storz
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Die Architekten

Das 2006 gegründete, partnerschaftliche Architekturbüro von Gunther Hastrich und Wolfgang Keuthage ist international tätig und betreut vorwiegend Direktaufträge für größere Wohnbauvorhaben. Für den Gesamtentwurf des Berliner Projekts an der Pettenkoferstraße verantwortlich ist das Büro, während dessen außergewöhnliche, gefaltete Fassade Wolfgang Keuthage entwickelte.

Dieser praktizierte unter anderem in den Büros von Dominique Perrault und Jean Nouvel. Der Projektleitung für die Galeries Lafayette in Berlin, Mitte der 1990er Jahre, und der Zusammenarbeit mit Jean Nouvel schreibt der Architekt maßgebliche Einflüsse zu. Als Schüler der beiden Professoren Peter C. von Seidlein und Kurt Ackermann sei er eine klare Architektursprache gewohnt, Nouvels vielschichtige Gebäudehüllen seien jedoch nicht immer auf den ersten Blick zu interpretieren.

Mit der facettenreichen Fassadenstruktur der Anlage “PolygonGarden” wird auf diese Erfahrungen Bezug genommen und daraus entwickelte der Architekt einen schlüssigen gestalterischen Leitfaden.

Städte im Wandel: Berlin, Foto: Boris Storz
Vollverglaste Erker sorgen für maximalen Lichteinfall an der Straßenseite des Vorderhauses. Foto: Boris Storz
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Das Fassadenkonzept

Die Schauseiten der vier Gebäudeteile gliedern sich in horizontale, geschosshohe Bänder mit dezent versetzten Stockwerken. Überwiegend verglaste Elemente wechseln sich mit Betonfertigteilen und verschiebbaren Paneelen ab. Dabei zeichnet jede Fassade eine eigene Kontur, die aber einem gemeinsamen Grundprinzip folgt: Im 70 m langen Vorderhaus beispielsweise bilden sich pro Band drei hintereinanderliegende Erker heraus, deren Zwischenräume Balkone füllen. Die Erker entstanden aus dem Wunsch heraus, mehr Wohnfläche aus der maximal zulässigen Gebäudetiefe von 13 m zu generieren. Die unkonventionelle Form der Freiplätze wiederum resultiert aus der Form der Erker. Schräggestellte opake Glasflächen dienen auf den Balkonen als Trennelemente zur Nachbarwohnung. Diese Bauteile, die verglasten Ausfachungen und der permanente Materialwechsel samt der Sichtschutzpaneele haben zur Folge, dass Balkone oder Erker nicht auf Anhieb erkennbar sind. Ähnlichen Gestaltungsmerkmalen bei divergierenden Kubaturen folgen auch die Seitenflügel und das Gartenhaus. So entstehen abwechslungsreich gefaltete Fassaden, die in ihrer Gesamtansicht dennoch harmonieren.

Städte im Wandel: Berlin, Foto: Boris Storz
Während an der Straßenseite Erker und Balkone dominieren, wurden in den hofzugewandten Wohnungen Loggien in den Wohnraum eingeschoben. Foto: Boris Storz
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Individuelle Grundrisse

Die Vor- und Rücksprünge in der Fassade haben zur Folge, dass jede Wohnung eine leicht abweichende Aussicht hat und auch auf gleicher Ebene aus einer unterschiedlichen Richtung belichtet wird. Dazu kommt ein frei bespielbares Grundrisskonzept, das individuell zugeschnittene Wohnungen und flexible Anpassungen begünstigt. Der Bauherr bot die Eigentumsobjekte als Lofts an, worauf die Nutzer gemeinsam mit den Architekten passende Raumaufteilungen entwickelten. Durch Stützen entlang der Fassade entsteht die Freiheit, Räume neu anzuordnen. Der Skelettbau und die flexible Gebäudetechnik erlauben zu einem späteren Zeitpunkt einen Rückbau und eine Neugliederung der einzelnen Wohneinheiten.

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Ausführungselemente

Das Wohnhaus wurde nach höchsten energetischen Standards ausgeführt. Zu den Merkmalen des KfW-Effizienzhauses 55 gehören Fenster mit Drei-Scheiben-Isolierverglasung, eine 22 cm dicke Wärmedämmschicht an geschlossenen Wänden und Decken, Fernwärmenutzung mit Kraft-Wärme-Kopplung sowie eine dezentrale Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung. Teile des Gebäudes sind in vorgefertigter Bauweise entstanden, wodurch Kosten bei gleichbleibend hoher Qualität minimiert werden konnten. So kamen beispielsweise Holzfenster aus widerstandsfähigem Accoya zum Einsatz oder oberflächenfertiges 16 mm Stabparkett aus Eiche. Die Textilbespannung der verschiebbaren Balkonpaneele mit einem Lichtdurchlass von 10 % sind in Alurahmen montiert. Eine in die Betonfertigteile eingelassene Helmschiene sorgt dabei für simple Führung und homogene Optik an der Fassade. All diese Faktoren belegen eine hochwertige Ausführung bis ins Detail, und das Gebäude markiert insgesamt eine durchdachte Architektur und ein zeitgenössisches Statement innerhalb des gewachsenen urbanen Milieus.

Städte im Wandel: Berlin, Foto: Boris Storz
Städte im Wandel: Berlin, Foto: Boris Storz
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Materialwahl und Konstruktion

Das Gebäude ist als Skelettbau mit Stützen und 40 cm Betonunterzügen ausgeführt. Aus statischen Gründen sind die Wände bis zum 1. Obergeschoss in Ortbeton realisiert und darüber in gemauertem Kalksandstein ausgefacht. Die Treppenhäuser bilden ebenfalls feste Betonkerne. 

Für die Ausfachung kamen großformatige Kalksandsteine im Nut-Feder-System zum Einsatz. Dabei handelt es sich um KS XL-Rasterelemente in unterschiedlichen Wanddicken und Rohdichten: Die Steine mit einer Wanddicke von 15 cm weisen eine Rohdichte von 2,0 auf, die Wanddicken 17,5 und 24 cm haben Rohdichten von 2,0 und 2,2 und die 20 cm dicken Kalksandsteine haben eine Rohdichte von 2,2. Dadurch wird einem erhöhten Schallschutzbedarf Rechnung getragen.

Städte im Wandel: Berlin, Foto: Boris Storz
Städte im Wandel: Berlin, Foto: Boris Storz

Die straßenseitige Fassade ist voll verglast und wird darüber hinaus von beweglichen, textilbespannten Paneelen in zwei Farben charakterisiert. Die hofseitigen Außenwandflächen sind mit 22 cm Wärmedämmverbundsystem bekleidet und weiß verputzt. Dabei wurde die 1,5 mm grobe Körnung in zwei zusätzlichen Arbeitsschritten bearbeitet, sodass eine optisch glatte Oberfläche mit 0,5 mm Körnung entsteht. Die horizontalen Gesimse sowie vertikale Trennwände an den hofseitigen Balkonen sind in Sichtbeton ausgeführt. Dieser bildet ein weiteres Material an der Fassade.

Nach innen trennen in Kalksandstein gemauerte, verputzte Wände die einzelnen Wohneinheiten. Die Steine haben dabei eine Wanddicke von 24 cm und eine Rohdichte von 2,2. Im Keller und in der Tiefgarage wurden kleinformatige Industriesichtsteine KS Is 20-1,8 2 DF verwendet.

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Projektdaten

  PolygonGarden
Standort 10247 Berlin
Fertigstellung 2015
Bauherr Archigon Pettenkofer 12 GmbH & Co. KG
Architekten HKA Hastrich Keuthage Architekten BDA
Tragwerksplaner HEG Beratende Ingenieure GmbH
Generalunternehmer BAM Deutschland AG
BGF 18.097 m2
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